21. Februar 1933


Wagner-Oper

Der Bürger ist pleite, seine Ideale wehen zerfetzt in allen Winden, nur seine Parvenüansprüche sind geblieben. Bei Wagner ist nicht nur das ganze Inventar des nationalistischen Schwertglaubens enthalten, sondern auch, immer neu variiert, die angenehme Vorstellung, von allen Übeln erlöst zu werden, ohne daß man dafür etwas zu tun braucht. Es erübrigt sich, näher auszuführen, was für eine Rolle in Deutschland der Wunderglaube spielt und das Verlangen nach einem Hexenmeister, der mit einem Hokuspokus Verschwindibus alle Kalamitäten für ewig beseitigt.

[…] Zum zweitenmal soll aus Deutschland eine Wagner-Oper werden, Siegmund und Sieglinde, Wotan, Hunding, Alberich und der ganze Walkürenchor und die Rheintöchter dazu sind –

Heiajaheia!
Wallalaleia heiajahei!

über Nacht hereingebrochen mit der Forderung, über Leiber und Seelen zu herrschen. Die künstlerische Seite dieses Programms billigen wir nicht, denn wir glauben in Wagner nicht die deutsche Musik erschöpft, wir glauben sie bei andern Meistern echter und tiefer zu finden; wir sehen in Wagners Werk vornehmlich eine künstliche Fontäne in buntem Scheinwerferlicht und keinen reinen natürlichen Quell – aber das ist Sache des Kunstgeschmacks, also Privatsache. Die andre Seite dieses Programms ist es dagegen nicht. Wir werden also etwas unternehmen müssen, da nicht zu erwarten ist, daß eine reine Jungfrau, um uns zu erlösen, ins Wasser springt.


aus: „Richard Wagner“, in: Weltbühne, 21. Februar 1933

 

 

 

Carl von Ossietzky,
Gefangener im KZ Esterwegen im Emsland