„Im einzelnen wissen wir gar nichts über unsern nächsten Weg;
er kann über Rußland, er kann auch über Indien führen.
Nur das können wir wissen: daß unser Weg nicht über die Richtungen und Kämpfe des Tages führt,
sondern über Unbekanntes, Tiefbegrabenes und Plötzliches.“

Gustav Landauer: Die Revolution, 1907
Grußbotschaft zur Eröffnung der Gustav Landauer-Ausstellung
„Die Revolution - Rätedemokraten gegen Gewalt und Krieg. 1919/2019“
im Anti-Kriegs-Museum in Berlin am 2. Mai 2019

Lieber Dominique, lieber Christian,
liebe Freunde und Freundinnen des Anti-Kriegs-Museums,
liebe Gustav Landauer-FreundInnen!

Es freut mich sehr, dass wir heute, anlässlich des 100. Todestages von Gustav Landauer, hier zusammengekommen sind, um mit dieser Ausstellung eines der bedeutendsten Libertären im deutschsprachigen Raum zu gedenken.

Als Literaturkritiker, Übersetzer, Roman- und Novellenautor, Vortragsredner und Essayist, libertärer Sozialist und jüdischer Kulturphilosoph genoss Gustav Landauer hohes Ansehen. Er agierte seit den 1890er Jahren von Berlin aus als Anti-Politiker, Kultur- und Sprachkritiker sowie Initiator zahlreicher libertärer Projekte.

Gustav Landauer legte eine umfangreiche Übersetzung der mittelhochdeutschen Predigten des Dominikaners und Mystikers Meister Eckhart vor (1903) und wirkte mit am Hauptwerk „Beiträge zu einer Kritik der Sprache“ (1901/02) seines langjährigen Freundes, des Sprachkritikers Fritz Mauthner. Aus dieser engen Kooperation entstand die Schrift „Skepsis und Mystik“ (1903), die zusammen mit der geschichtsphilosophischen Monographie „Die Revolution“ (1907) und dem programmatischen „Aufruf zum Sozialismus“ (1911) für das Verständnis von Landauers Denken und Handeln grundlegend ist. Mit seiner ausformulierten Konzeption eines libertären und föderativen Sozialismus - Stichwort: kommunitärer Anarchismus - zielte er auf eine grundlegende Erneuerung des Menschen und seines dialogischen Verhältnisses in Richtung persönlicher Freiheit und sozialer Gerechtigkeit ab. Gustav Landauer war ein umfassender Kenner der europäischen Geistesgeschichte. Seine zahlreichen noch heute lesenswerten Essays belegen dies eindrücklich. Viele Autoren (Etienne de La Boëtie, Bakunin, Kropotkin, Tolstoi, Rabindranath Tagore, Walt Whitman, Oscar Wilde u.a.) hat er, häufig gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der Dichterin und Übersetzerin Hedwig Lachmann (1865-1918), durch erstmalige Übersetzungen dem deutschsprachigen Kulturleben nahe gebracht.

Seine praktischen Bemühungen um ein selbstbestimmtes, frei vereinbartes Miteinander werden auf sämtlichen Betätigungsfeldern deutlich: sowohl in seinem jahrelangen Engagement für die libertäre Zeitschrift „Der Sozialist“, in dem von ihm 1908 begründeten „Sozialistischen Bund“ als auch in seiner umfassenden Rezeption der Dramen William Shakespeares sowie der Französischen Revolution von 1789, in seinen zahlreichen Vorträgen zur deutschen und internationalen Literaturgeschichte, seinem Antimilitarismus, seiner konsequenten Kriegsgegnerschaft während des Ersten Weltkriegs und seiner Mitwirkung an den revolutionären Ereignissen 1918/19, als er sich von München aus für eine freiheitliche Restrukturierung der Gesellschaft einsetzte. Während der ersten bayerischen Räterepublik im April 1919 agierte er als „Volksbeauftragter für Volksaufklärung“, sprich: Kulturminister. Anfang Mai 1919 wurde er im Zuge der Niederschlagung der Revolution brutal ermordet.

Gustav Landauers anarchistische Kulturphilosophie und Antipolitik wirkten auf so unterschiedliche Zeitgenossen wie Martin Buber, Erich Mühsam, Ernst Toller, Margarete Susman, Ret Marut/B. Traven, Oskar Maria Graf, Hermann Hesse und Albert Camus. Seine Schriften wurden in der damaligen Jugendbewegung diskutiert und nahmen Einfluss auf den Expressionismus, kommunitäre Lebensgemeinschaften, den religiösen Sozialismus sowie auf die genossenschaftliche Siedlungsbewegung in Palästina. Darüber hinaus zählt Landauer zu den Vordenkern der Alternativ- und Ökologiebewegung seit den 1960er Jahren.

Ich danke Christian Bartolf und Dominique Miething ganz herzlich und gratuliere ihnen zu dieser wunderbar zusammengestellten Ausstellung über Gustav Landauer. Es freut mich sehr, dass diese Gedenkausstellung in diesem Jahr der Öffentlichkeit präsentiert werden kann, genau zum Zeitpunkt des 100. Todestag dieses bedeutenden Libertären. Dass das Anti-Kriegs-Museum ohne Zögern bereit war, seine Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, bedeutet zugleich eine Würdigung Landauers als Antimilitarist und seines lebenslangen Kampfes gegen Krieg und Gewalt. Gustav Landauer zählte zu den schärfsten Kritikern des staatlichen Gewaltmonopols und Militarismus. Ihm blieb nicht verborgen, welch verheerenden Einfluss Militär und Militarismus nicht nur auf die Soldaten, sondern auf die gesamte Gesellschaft ausüben. Mit wachsender Besorgnis nahm Landauer die Hochrüstung und steigende Kriegsbereitschaft der wilhelminisch-autoritären Eliten zur Kenntnis. Frühzeitig sah er den Ersten Weltkrieg voraus und formulierte seine antimilitaristischen Botschaften, um den drohenden Krieg etwa mittels eines politischen Generalstreiks zu verhindern.

Gustav Landauers Antimilitarismus stand in der Tradition des anarchistischen Antikriegs- und Antiarmeenkampfes, die mit der eindringlichen Forderung nach endgültiger Abschaffung aller Streitkräfte einherging. Im Kriegsfall sollten Boykotte, Gehorsamsverweigerung, Desertation und Massenstreiks das Schlimmste verhindern: „Kriege gibt es nur, weil es Staaten gibt. Die armen, betörten Menschen glauben, es sei umgekehrt, und die Staaten mit ihrer Militärmacht seien nötig, weil sonst der Feind käme und das Volk unterjochte; jedes Volk hält sich für friedlich, weil es weiß, dass es friedlich ist; und hält den Nachbarn für kriegerisch […]. Alle Regierungen sind am letzten Ende kriegerisch, weil ihre Aufgabe und ihr Beruf die Gewalt ist.“. Gemeinsam mit Hedwig Lachmann hielt Landauer zu Beginn und während des Ersten Weltkriegs, entgegen der allgemeinen nationalistischen Kriegseuphorie, konsequent an seiner kriegsablehnenden Haltung fest.

Ich wünsche mir, dass viele Besucher und Besucherinnen den Weg in das Anti-Kriegs-Museum zu dieser gelungenen Gustav Landauer-Ausstellung finden mögen und dies zum Anlass nehmen, sich noch eingehender mit dessen Werk zu befassen.

Mit libertären Grüßen

Dr. Siegbert Wolf (Frankfurt/M.), Historiker und Publizist, Herausgeber der „Ausgewählten Schriften“ Gustav Landauers

Eingang zur Ausstellung

 

Diese Ausstellung ist urheberrechtlich geschützt. Eine kommerzielle Nutzung ist verboten.
Wenn Sie die Ausstellung zeigen wollen, senden wir Ihnen gerne eine CD mit Dateien der Tafeln.