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Interview

24.12.2003 - WRPI
(Adresse: 1 WRPI Plaza, Troy, NY 12180-3590, USA)
"Auf den Barrikaden"
(10-11 Uhr vormittags Ortszeit; 4-5 Uhr nachmittags MEZ) -
Interviewer: Dr. Steve Breyman (SB) - am Telefon: Christian Bartolf (CB):

SB: "Guten Morgen und willkommen zu "Auf den Barrikaden". Ich bin Steve Breyman. Sie hören WRPI, Troy. Mit mir am Telefon aus Berlin heute Christian Bartolf vom Gandhi-Informations-Zentrum. Lassen Sie mich etwas über die Organisation sagen:

Das Gandhi-Informations-Zentrum wurde im Jahr 1990 gegründet und ist seitdem ein gemeinnütziger Verein für Bildung und Kultur mit mehr als 100 Mitgliedern mit Sitz in Berlin, darunter namhafte Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller, wie z.B. der Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel, Graf Serge Tolstoi und Professor Joseph Needham. Weltweit bekannt wurde das Gandhi-Informations-Zentrum durch die Verbreitung des "Manifest gegen die Wehrpflicht und das Militärsystem". Und um mit uns über genau dieses Manifest zu sprechen, das ist der Grund, warum wir Christian an diesem Morgen hier haben. Das Manifest aktualisiert zwei bereits von Gandhi, Einstein, Buber, Freud und Tolstois Mitarbeitern Birukoff und Bulgakov unterzeichnete Manifeste gegen die militärische Ausbildung der Jugend. Dieses Manifest wurde mittlerweile in mehr als 25 Sprachen übersetzt und von mehr als 200 hervorragenden Persönlichkeiten aus über 30 verschiedenen Ländern unterzeichnet. Das Gandhi-Informations-Zentrum, Forschungs- und Bildungsstätte für Gewaltfreiheit, organisiert seit dem Jahr 1990 gemeinnützige Bildungsarbeit und gibt Publikationen über das Leben und Wirken von Mahatma Gandhi heraus. Das Gandhi-Informations-Zentrum knüpft Kontakte in alle Welt und trägt zu einem internationalen Netzwerk bei. Der gewaltfreie, aktive Widerstand, wie er von Gandhi entwickelt und gelebt wurde, soll dabei Orientierung und Wegweisung sein. Damit verbunden will es die Wurzeln der Gewaltfreiheit in vielfältigen Traditionen dokumentieren (um Beispiele zu nennen: die gewaltfreie Lehre Leo Tolstois in Russland, den zivilen Ungehorsam Henry David Thoreaus, die Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings in den USA, die Sozialethik John Ruskins aus England, die Arche-Kommunitäten Lanza del Vastos in Frankreich sowie die Gewissensüberzeugungen religiöser Kriegsdienstverweigerer aus Österreich und Deutschland). Unter dem Titel Satyagraha veröffentlicht das Gandhi-Informations-Zentrum seit 1994 Informationen für seine Vereinsmitglieder. So informierten ihre ersten beiden Nummern über das Gedenken an den 125. Geburtstag Gandhi's und ihre Beziehungen zu Nachfolgern Leo Tolstois in Russland.
Dies ist also das Gandhi-Informations-Zentrum! Christian Bartolf, guten Morgen und willkommen in unserem Programm!"

CB: "Guten Morgen, guten Morgen, Amerika, wie geht es Ihnen?"

SB: "Nun, gut an diesem matschigen Heiligabend. Christian, erzählen Sie uns ein kleines bisschen über sich selbst, wie Sie selbst mit dem Gandhi-Informations-Zentrum in Verbindung kamen und woraus die tägliche Arbeit bei Ihnen besteht."

CB: "Nun, eigentlich habe ich die Politischen- und Erziehungswissenschaften an der Universität studiert, an der Freien Universität Berlin, und nach Abschluss mit zwei wissenschaftlichen Diplomgraden wurde ich darum gebeten, ein Berater für Kriegsdienstverweigerer zu werden. Also arbeite ich nun schon seit 12 Jahren für das Ökumenische Zentrum in Berlin-Spandau. Und zuvor war ich ein Student, während meiner Studentenzeit las ich die Bücher von Martin Luther King und Mahatma Gandhi, und ich entdeckte, dass diese Tradition der Gewaltfreiheit in einigen Teilen Europas fast vergessen ist, besonders während des Kalten Krieges. Und damals versuchte ich, mehr über die Geschichte und Kultur der Gewaltfreiheit herauszufinden. Und aus diesem Grund schloss ich mich einer kleinen Gruppe von Studenten an, um zuguterletzt die gewaltfreie Tradition zu studieren. Und als wir mit dem Gandhi-Informations-Zentrum begannen, war dies sozusagen eine Privatinitiative im Jahr 1983. und wir organisierten damals eine Ausstellung in Berlin während der ersten Monate des Jahres 1984, die gut besucht wurde, das war damals eine Art spirituelle Gegenkraft zur Bedrohung des Kalten Kriegs, weil in jenen Tagen, als ich 24 Jahre alt war, nun bin ich 43 Jahre alt, damals gab es die Gefahr eines Atomkrieges in Mitteleuropa als eine Art Nuklearkrieg aus Versehen, wie man ihn im Film "Dr. Seltsam" von Stanley Kubrick beobachten kann."

SB: "Ja!"

CB: "Und das war damals eine große Gefahr, und wir waren alle auf eine gewisse Weise traumatisiert, weil wir nicht wussten, ob solch ein Unfall stattfinden würde. Und deshalb fragten wir uns selbst: Was könnten wir denn tun, um dazu beizutragen, dass der Kalte Krieg beendet wird, und wie könnten wir einen gewaltfreien, sozialen Wandel für Deutschland, Europa und die Welt herbeiführen? Und so erinnerten wir uns natürlich an die Botschaft von Mahatma Gandhi und Martin Luther King, und während jener Tage entdeckte ich, dass beide ihre Weisheit und Einsichten aus den Schriften von Leo Tolstoi aus Russland gewannen. Das ist der Grund, warum diese Tradition der Gewaltfreiheit und auch des Pazifismus für uns wertvoll wurde. Und so versuchten wir, Mittel und Methoden herauszufinden, um sozusagen diese harte Konfrontation aufzuweichen und um es von der Entspannung zum Ende des Kalten Krieges zu bringen. Die Entspannungspolitik war eine gute Grundlage, deshalb versuchten wir, Methoden zu gebrauchen, um einander zu begegnen in West und Ost..."

SB: "Christian, für die Zuhörer, die die Bedeutung des Begriffs 'Entspannung' nicht mehr erinnern - könnten Sie uns diesen Begriff definieren?"

CB: "Sie war ein Weg, um die Spannungen zwischen Ost und West zu verringern, durch ökonomische 'positive Sanktionen', wie man sagen kann, durch wirtschaftliche Kooperation einerseits, welche heutzutage von großer Bedeutung wäre für Indien und Pakistan, und zum zweiten: durch Begegnungen von Einzelpersonen und Repräsentanten von Friedensgruppen zwischen West und Ost. Natürlich war dies eingeschränkt für jene, die im Osten lebten, aber wir konnten zumindest zu den oppositionellen Kirchengruppen fahren, um mit ihnen über Tolstoi und Gandhi zu reden und auf diese Weise einen gewaltfreien und sozialen politischen Wandel vorzubereiten. Und wir waren erfolgreich, aber es war natürlich nicht so leicht für jene, meistens Studenten, die an diesen Aktivitäten beteiligt waren. Andererseits wussten wir, dass es eine Kluft in der öffentlichen Meinung gab und in der Wissenschaft, in der akademischen Wissenschaft, in den Sozialwissenschaften, die ich studierte, weil die gewaltfreie Tradition nicht gut repräsentiert wurde, und so waren wir aktiv in Forschung, Bildung und Aktion. Und im Jahr 1990, nach der Vereinigung der zwei deutschen Staaten, waren wir bereit, einen Verein für Bildung zu gründen, um unsere Aktivitäten fortzusetzen, und seitdem versuchten wir, unsere Aktivitäten zu internationalisieren durch internationale Mitglieder. Wir begannen im Jahr 1995, einen Schwerpunkt auf internationale Mitglieder zu legen, und deswegen kommen zwei Drittel unserer Mitglieder aus mehr als zwanzig Ländern, wie ich annehme, und davon stammen viele Teilnehmer aus Indien, alte und junge Menschen, wir haben mehr indische als deutsche Mitglieder, aber sie sind korrespondierende Mitglieder ohne finanzielle Verpflichtungen. So waren wir in gewisser Weise froh, im Jahr 1993 von neuem zu beginnen mit unserer Manifest-Kampagne, weil es offensichtlich war, dass es eine neue Militarisierungsphase geben würde. Unsere Idee war damals: Es ist gut, einen internationalen Text herauszugeben, der ein Zustimmungstext sein könnte für jene Intellektuelle und einfachen Menschen, unbekannt oder bekannt, berühmt oder nicht berühmt, auf den sie sich einigen könnten. Und wir fanden diesen Text in einem einwöchigen Workshop mit 90 Kriegsdienstverweigerern aus 19 Ländern, die sich in der Türkei trafen. Wir fanden diesen Text in Zusammenarbeit und verbreiteten ihn daraufhin."

SB: "Christian, bevor wir über den Text sprechen, und ich habe ihn vor mir liegen und möchte ihn den Zuhörern mitteilen, und danke für den Hintergrund, möchte ich Sie mehr über seine Ursprünge und Ihre eigene Arbeit mit Kriegsdienstverweigerern befragen. Wenn ich mich historisch korrekt erinnere, glaube ich, dass Kriegsdienstverweigerung, und das mag in Verbindung stehen mit den Ursprüngen der "Wehrpflicht", vielleicht auch nicht, ich vermute, man kann... - ich weiß nichts genaues über die Geschichte, sagen wir, der sumerischen und babylonischen Könige, die ganz gewiss ihre männlichen Untertanen in Militäreinheiten zwangsrekrutierten, wie die Griechen und Römer es taten, aber im Zeitalter der Moderne, so verstehe ich es jedenfalls, sind die Ursprünge der Kriegsdienstverweigerung in Deutschland zu finden, das war bereits im 17. Jahrhundert, vielleicht schon davor, im 16. Jahrhundert, als wir die ersten überlieferten Fälle von, wie ich annehme, religiös motivierten Bauernjungen vorfinden, die gegen ihre Adelsherren aufstanden und sich weigerten, Waffendienst zu leisten, unter Waffen zu stehen. Können Sie etwas über diese Geschichte berichten, weltweit und in Deutschland?"

CB:" Ja, es mag von Interesse sein, dass die Tradition der Quäker, der Mennoniten und der Brüdergemeinden - der historischen Friedenskirchen - zurückdatiert bis zu jenen alten Zeiten, als diese Gruppen in Mitteleuropa lebten, damals wurden sie manchmal dazu gezwungen, zu emigrieren, zum Beispiel die Mennoniten wanderten aus nach Russland, aber es gab auch historische Friedenskirchen - man kann sie als sektiererische, unabhängige Christen bezeichnen, als christliche Pazifisten - in mehreren Ländern, in Russland ebenfalls, wo sie den Militärdienst verweigerten - die Duchoborzen zum Beispiel, die von Tolstoi unterstützt wurden - und diese Gruppen mussten später nach Kanada emigrieren, nach Britisch-Kolumbien, und diese Gruppen, die übrigens in Europa fast unbekannt sind, bildeten eine Tradition der Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen, weil ihre ursprüngliche christliche Ethik es ihnen nicht erlaubte, sich an irgendeiner Aktivität zu beteiligen, die das Militär unterstützte. Und diese Tradition ist heute ganz gut bekannt in England, im Vereinigten Königreich, und der Einfluss dieser Tradition wird mehr und mehr sichtbar. Und die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen wurden so genannt, als General Smuts in Südafrika die 'Satyagrahi' so nannte, die gewaltfrei Widerstand leistenden und die Wahrheit bezeugenden 'Satyagrahi', Mahatma Gandhi und seine Landsleute. Das war ganz interessant: ein neuer, moderner Begriff "Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen"..."

SB: "Ich verstehe, das ist für mich neu, Christian, dass dieser Begriff im Zeitalter der Moderne seinen Ursprung hat in Gandhi's Kampagne für Minderheitsrechte in Südafrika, bevor er nach Indien zurückkehrte."

CB: "Ja, sehen Sie, in Südafrika, als Gandhi aktiv war, waren diese politischen Anliegen miteinander verbunden und der Theologe Leonhard Ragaz aus der Schweiz schrieb darüber, worüber ich auch überrascht war, als ich dies in einem alten Buch aus dem Jahr 1930 las: "Die Gandhi-Revolution" (Franz Kobler: Gandhi's Verhaeltnis zur abendlaendischen Friedensbewegung, in: Fritz Diettrich (ed.): Die Gandhi-Revolution, Dresden 1930, pp. 92-110), welches ich in einem Antiquariat gefunden hatte. Ich habe auf diese Weise eine Menge alte Bücher über diese Tradition gefunden, was die Grundlage für unsere Arbeit darstellte..."

SB: "Ich verstehe."

CB: "... so dass wir eine gute Forschungsbasis haben konnten, und wir haben einige dieser Dialoge von Gandhi mit seinen Zeitgenossen in den USA und in Europa in der englischen und in der deutschen Sprache repräsentiert, wir geben von unserem Zentrum also Bücher in englischer Sprache heraus, aber natürlich ist es so, dass wenn man das meiste selbst macht, man nicht die besten Vertriebsmöglichkeiten und -mittel zur Verfügung hat etcetera. Aber viele dieser Bücher wurden aus unterschiedlichen Ländern bestellt. Und wir sind froh darüber, unsere Bücher in einem Belegexemplar an Bibliotheken in Deutschland und auch im Vereinigten Königreich zu verschenken, und wir senden auch einige unserer Buchexemplare an US-Bibliotheken. Auf diese Weise, denke ich, füllen wir diese Kluft, diese Forschungslücke. In den USA weiß ich, dass die Forschungsarbeiten über den historischen Pazifismus zunehmen, und ich denke, dass dies sehr gut ist..."

SB: "Ja, dies ist eine glückliche Entwicklung!"

CB: "... eine glückliche Entwicklung: Nach dieser Bedrohung während der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts, wie ich denke, gab es immer mehr Interesse daran, sich bewusst zu werden, aber Sie haben Ihre starke Tradition der Gewaltfreiheit, verbunden mit den Namen der Abolitionisten, den Gegnern der Sklaverei, William Lloyd Garrison...

SB: "Ja!"

CB: "... Adin Ballou und Henry David Thoreau, und später Martin Luther King jr., Dr. Martin Luther King jr., und den Brüdern Berrigan zum Beispiel..."

SB: "Ja, in der Tat!"

CB: "... Sie erwähnten sie in Ihrem Buch, diese starke Tradition des Zivilen Ungehorsams, der Pflugschar-Gruppen, und ich denke, dies alles sind Hoffnungszeichen, und dass es nicht allein wichtig ist, diese Tradition fortzusetzen, sondern auch diese Tradition immer wieder zu erinnern und ebenfalls neue Herangehensweisen zu finden."

SB: "Ja, nun, Sie erwähnten die Bedeutung in Ihrer eigenen Entwicklung, Christian Bartolf, die Bedeutung des neuen Kalten Krieges der frühen achtziger Jahre, Sie erwähnten zudem, dass Sie beobachten, wie die Friedenswissenschaften, die Friedensforschung zunimmt. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass das Interesse wächst in Zeiten der, nun in jenen Tagen nannten wir sie, der Spannungen zwischen den Supermächten, und doch will ich noch einmal zum historischen, zum frühen historischen Kontext zurückkehren: Interessant, dass man selbst hier, wo in den USA, seit 1973, glaube ich, die USA die "Wehrpflicht" oder was man in diesem Land "The Draft" nennt, beendete und zu einer reinen Freiwilligenarmee überging, denken könnte, dass Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen unter diesen Umständen einfach austrocknen und verschwinden würde. Das ist nicht der Fall gewesen! Die Gemeinden der Mennoniten in diesem Land, der Quäker, der Hutterer und der anderen historischen Friedenskirchen bleiben bedeutende Kräfte, um Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen zu organisieren, und ich wünschte, ich hätte die Zahlen. Christian, vielleicht haben Sie sie gefunden, die Anzahl der Militärdienst leistenden Männer und Frauen in den USA, die zu der einen oder der anderen Phase ihren Militärdienst in Afghanistan oder im Irak verweigert haben. Haben Sie irgendwelche Zahlen oder sind Ihnen Einzelheiten darüber bekannt, in welchem Ausmaß, weit definiert, Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen oder irgendein weiterer Widerstand gegen den Militärdienst von bereits Uniformierten für das US-Militär ein Thema darstellt?"

CB: "Nun, ich weiß, dass die US-Streitkräfte aus sogenannten Freiwilligen bestehen, aber Sie wissen, dass die "Wehrpflicht" ein System darstellt, welches nicht allein ein gesetzliches System ist, sondern auch ein ökonomisches System, so dass es in Ländern, wo die "Wehrpflicht" abgeschafft wurde, immer noch ein System der "ökonomischen Wehrpflicht" gibt, dass Menschen aus ärmeren Bevölkerungssegmenten zum Militär gehen, um ein geregeltes Einkommen zu haben etcetera. Das ist der Grund, warum die "Wehrpflicht" einen Teil des Militärsystems bildet, und es ist eine Rekrutierungsmethode gewesen, die von Napoleon über Bismarck bis Hitler eingesetzt wurde, und die Demokratien haben die gleichen Methoden nach dem Zweiten Weltkrieg angewandt. Und wegen der pazifistischen und antimilitaristischen Opposition gegen den Vietnam-Krieg in den USA wurde sie im Jahr 1974, glaube ich, abgeschafft, und Präsident Carter, Jimmy Carter der den Friedensnobelpreis erhielt, führte die Registrierung wieder ein, was keine gute Grundlage bildete, um die pazifistische Opposition für alle Zeiten zu besänftigen. Das ist der Grund, warum es noch immer eine Gefahr gibt, dass die "Wehrpflicht" in Kriegszeiten wiedereingeführt wird."

SB: "Ja! Sie mögen wissen, Christian, dass in den USA die Registrierung für den 'Grundwehrdienst' (selective service) auf ökonomische Weise erzwungen wird. Wenn ein junger Mann also, glaube ich, das 18. Lebensjahr erreicht, muss er sich für den Militärdienst registrieren lassen. Wenn man sich weigert, ist man nicht berechtigt, finanzielle Hilfe zu erhalten, für Kredite und Stipendien und weitere finanzielle Unterstützung, um das College zu besuchen."

CB: "Das ist der Grund, warum ich denke, dass unser "Manifest gegen die Wehrpflicht und das Militärsystem" zunächst einmal nicht allein Länder betrifft, die noch weiterhin das gesetzliche System der "Wehrpflicht" aufrechterhalten, sondern auch jene mit dem angelsächsischen Modell der "ökonomischen Wehrpflicht", die immer noch in Kraft ist, zum Beispiel in den USA oder in Indien. Und andererseits denke ich, dass das Manifest auch von großer Bedeutung sein wird nach dem Ende der "Wehrpflicht", des gesetzlichen Systems der "Wehrpflicht" auf der ganzen Welt, weil es gegen das Militärsystem ist."

SB: "Ja!"

CB: "Und das ist der Grund, warum ich eine mögliche Entwicklung voraussehe, dass auch europäische Staaten immer mehr ihr Militär zu einer Berufsarmee umwandeln, und das ist der Grund, warum wir mit diesem Manifest anfingen - nicht, um diesen Prozess zu verlangsamen oder zu beschleunigen - sondern um eine Grundlage zu haben, um sich dem Militär in Zukunft und in der Gegenwart zu widersetzen, natürlich bedeutet "sich widersetzen" nicht, subversiv auf eine ungesetzliche Weise zu sein, aber jetzt ist es von Bedeutung, eine klare manifeste Deklaration zu haben, die von vielen berühmten und gutwilligen Menschen unterstützt wird, und das ist der Grund, warum unser Manifest von Tag zu Tag wächst, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr - nach nunmehr zehn Jahren. Und Glückwunsch, Steve, dass Sie der erste sind, wirklich der erste, der mich für ein Radioprogramm interviewt, der erste auf der ganzen Welt. Das ist sehr schade, dass die Medien die Tatsache nicht wahrhaben wollen, dass solch ein Manifest ist, existiert, und es hat fast das gleiche Schicksal wie die beiden alten Manifest-Texte, die wir zitieren und die in den Jahren 1926 und 1930 von sehr berühmten Humanisten unterzeichnet wurden, wie von Gandhi, Einstein, Freud und vielen berühmten Schriftstellern wie Upton Sinclair, H.G.Wells; und diese alten Manifest-Texte sind fast in Vergessenheit geraten, das ist der Grund, warum wir diese alten Texte finden mussten..."

SB: "Ja!"

CB: "... und das war, so formuliert, eine wirkliche Herausforderung. Sie wissen, dass es Gruppen gibt wie die Internationale der KriegsdienstgegnerInnen (War Resisters' International) oder den Internationalen Versöhnungsbund (International Fellowship of Reconciliation) ..."

SB: "Ja!"

CB: "... die für den Frieden arbeiten, für säkulare und religiöse Gruppen, auf internationalem Niveau. Sie unterstützen Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen weltweit ..."

SB: "Ja!"

CB: "... und man sollte Kontakt zu ihnen aufnehmen, um sie zu fragen, ob es heute eine hohe Anzahl von Deserteuren in der US-Armee gibt. Ich kann diese Frage nicht beantworten, aber ich weiß, dass gerade diese Gruppen nicht solch ein Archiv zur Verfügung hatten, wo es leicht gewesen wäre, diese alten Texte aufzufinden. So mussten wir sie in den Gesammelten Werken von Mahatma Gandhi, zum Beispiel, finden, einen Text, einen anderen Text fanden wir im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam. Und so haben wir diese Teilstücke zusammengesetzt. Einen Text fand ich in einem Buch über Romain Rolland, den berühmten französischen Schriftsteller, der das erste dieser Manifest-Texte im Jahr 1919 angeregt hat, nach dem Ersten Weltkrieg ..."

SB: "Ja!"

CB: "... er war ein Pazifist, er führte eine Korrespondenz mit Rabindranath Tagore aus Indien, dem indischen Schriftsteller, der den Literaturnobelpreis erhielt, und dort eben fand ich diese erste englischsprachige Übersetzung der Unabhängigkeitserklärung des Geistes (Declaration of the Independence of the Spirit) aus dem Jahr 1919. Ich fragte mich also, warum dies nicht früher getan wurde. Alles, was wir getan haben, ist, das zu tun, was früher bereits hätte getan werden sollen, nichts Neues ..."

SB: "Ja!"

CB: " sondern diese Teilstücke zusammenzusetzen!"

SB: "Ja, für uns, Christian, für viele unserer Zuhörer natürlich, sind diese Daklarationen, im amerikanischen Slang, "no-brainers", also offenkundig, in anderen Worten, sie sind einfach offensichtlich, sie sind klar, sie bedürfen keiner Erklärung oder müssen nicht allzu sehr in einen Kontext gebracht werden, aber sie sind natürlich gegen eine militaristische Kultur gerichtet, die, wie Sie wissen, sie ignorieren und begraben will, und das macht die Arbeit des Friedensforschers so schwierig, allein nur diese Dokumente ans Tageslicht emporzuheben und wiederauferstehen zu lassen. Wir haben noch ein paar Sekunden, Christian, bevor wir eine Pause einlegen, und ich habe dieses Lied von Pete Seeger, auf dass Sie sich freuen, wie es mich freut, sagen zu können, aber in ein paar Sekunden, wenn Sie darüber noch einmal nachdenken, ich weiß nicht, ob es Ironie ist oder ein Paradox, die Wertschätzung, mit der die westliche Gesellschaft solche Figuren wie Einstein und Freud hochhält, zwei der Unterzeichner der von Ihnen erwähnten Manifest-Texte. Diese Männer werden, wie Sie wissen, geachtet als Giganten der westlichen Zivilisation im  20. Jahrhundert und doch feiern wir sie, als ob es nur einen kleinen Teil der Beiträge gäbe, der von Menschen wie Freud und Einstein geleistet worden wäre. Ist es nur eine Art von bewusstem Vergessen oder ein vorsätzlicher und absichtlicher Ausschluss, dass wir vergessen, dass Einstein und Freud Sozialisten und Pazifisten waren? Oder ist es genau jener Teil, der aus Versehen wegfällt? Was sagt Ihr Verständnis in diesem Zusammenhang?"

CB: "Ich denke folgendermaßen, es könnte eine Art von Urteilsspruch über den Pazifismus in unseren öffentlichen Medien sein, der nicht sehr angenehm ist, weil die Pazifisten - wie man wissen sollte - eine Opfergruppe der Nazis waren in Deutschland ..."

SB: "Ja!"

CB: "... wie zum Beispiel Carl von Ossietzky, der ein Gefangener von Hitler im Konzentrationslager war. Er erhielt den Friedensnobelpreis im Jahr 1936, posthum für das Jahr 1935, und er war ein Gefangener. So, er war ein Pazifist, und er war einer der ersten, die in ein Konzentrationslager geworfen wurden."

SB: "Das wollte ich sagen: Unter den Opfern des Nazi-Régimes, unseren Zuhörern natürlich sehr gut bekannt, waren Pazifisten, dies könnte ein neuer Teil Ihres Verständnisses sein, Pazifisten, Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen waren unter den ersten Opfern von Hitler!"

CB: "Ja, das ist richtig! Und der Grund dafür war: Er wollte die "Wehrpflicht" wiedereinführen, das war im Jahr 1935, das war für ihn die Basis, um den Zweiten Weltkrieg zu beginnen, mit der Kollaboration der Generäle und Offiziere. Und das ist der Grund, warum wir uns vom Militärsystem bislang noch nicht emanzipiert haben, weil nach dem Zweiten Weltkrieg Gewalt durch Gegengewalt beseitigt wurde, so dass wir uns noch immer im Kreislauf der Gewalt befinden, weil die Geschichte nicht beendet wurde oder ist, befinden wir uns noch in dieser Geschichte der Gewalt ..."

SB: "In der Tat!"

CB: "Wir sollten uns davon emanzipieren, und dies ist eigentlich die Botschaft von Mahatma Gandhi, der sagte, dass "die Wissenschaft vom Krieg schlichtweg zur Diktatur (führt), während die Wissenschaft der Gewaltfreiheit allein zur reinen Demokratie führen kann." ("Science of war leads one to dictatorship pure and simple. Science of non-violence can alone lead one to pure democracy." Harijan, 15.10.1938)

SB: "Lassen Sie uns genau hier die erste Hälfte der Show beenden, Christian, und wieder zurückkommen darauf. Ja, Sie erwecken natürlich Bilder der gegenwärtigen Vereinigten Staaten unter dem Bush-Régime in den Ohren vieler unserer Zuhörer. Wenn Sie uns seit dem Beginn der Stunde zugehört haben und folgen konnten, mein Gast an diesem Morgen ist Christian Bartolf vom Gandhi-Informations-Zentrum in Berlin. Sie treiben aktuell ihr "Manifest gegen die Wehrpflicht und das Militärsystem" voran, das ich Ihnen, Zuhörer, mitteilen werde, es ist sehr kurz, wie es solche Texte gewöhnlich sind, es ist gerade einmal weniger als eine Seite oder so lang, so werde ich es Ihnen vorlesen, wenn wir nach einer Pause zurückkommen, ich habe einen Song von Pete Seeger, den Christian selbst vorgeschlagen hat. Das kommt also als nächstes, dann eine Minute oder so Werbeansagen, so, Christian und ich werden in ungefähr drei Minuten oder so zurück sein. Sie hören gerade "Auf den Barrikaden", ich bin Steve Breyman, dies ist WRPI, Troy."
 

If I Had A Hammer (Text von Lee Hays, Musik und gesungen von Pete Seeger, 1949)

"If I had a hammer, I'd hammer in the morning,
I'd hammer in the evening all over this land.
I'd hammer out danger, I'd hammer out a warning.
I'd hammer out love between my brothers and my sisters all over the land.

If I had a bell, I'd ring it in the morning,
I'd ring it in the evening all over this land.
I'd ring out danger, I'd ring out a warning.
I'd ring out love between my brothers and my sisters all over the land.

If I had a song, I'd sing it in the morning,
I'd sing it in the evening all over this land.
I'd sing out danger, I'd sing out a warning.
I'd sing out love between my brothers and my sisters all over the land.

Well, I got a hammer and I got a bell and
I got a song to sing all over this land:
It's the hammer of justice, it's the bell of freedom,
it's a song about love between my brothers and my sisters all over the land."
 

SB: "Und wir sind zurück. Sie hören gerade 'Auf den Barrikaden'. Ich bin Steve Breyman. Dies ist WRPI, Troy. Mit mir am Telefon aus Berlin ist Christian Bartolf vom Gandhi-Informations-Zentrum. Wir haben während der ersten Hälfte des Programms an diesem Morgen über seine Arbeit mit Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen gesprochen und über die Wiederbelebung der historischen Friedenstradition, die verbunden ist mit den großen Namen von Tolstoi, Gandhi, King und den übrigen.
Ich möchte mich entschuldigen, Christian, ich konnte am Mischpult nicht das spezielle Lied von Pete Seeger finden, auf das wir uns gefreut haben, aber ich werde es vor dem Ende der Show noch einmal versuchen, doch ich hoffe, "If I Had A Hammer" befriedigte zumindest einen Teil Ihrer Pete Seeger-Wünsche an diesem Morgen.
Aber noch einmal, Zuhörer, das Gandhi-Informations-Zentrum in Berlin und seine Mitglieder in der ganzen Welt versuchen derzeit Unterschriften für ihr "Manifest gegen die Wehrpflicht und das Militärsystem" zu sammeln. Lassen Sie mich Ihnen den Text auf der Stelle in dieser Sendung von der Internetseite des Gandhi-Informations-Zentrums vorlesen. Ich gebe Ihnen die Websiteadresse dafür, wenn Sie einen Stift und Papier zur Hand haben, es ist ein wenig ein Zungenbrecher, also "home.snafu.de/mkgandhi/english.htm": "de" ist das deutsche Suffix für "Deutschland" - "mkgandhi" für "Mohandas K. Gandhi". So hier also das "Manifest gegen die Wehrpflicht und das Militärsystem", zusammengesetzt, wie Christian zuvor im Programm erklärt hat, aus einer Anzahl seiner berühmten historischen Vorläufer.
"
Im Namen der Menschlichkeit,
  für das Wohl aller Zivilisten, die von Kriegsverbrechen bedroht sind,
  insbesondere der Frauen und Kinder, und
  zugunsten der Mutter Natur, die unter Kriegsvorbereitungen und Kriegsführung leidet,
plädieren wir, die Unterzeichner, für die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht als einen größeren und entscheidenden Schritt zur vollständigen Abrüstung.

Wir erinnern uns an die Botschaft der Humanisten des 20. Jahrhunderts:

"Wir glauben, daß auf der Wehrpflicht aufgebaute Heere mit ihrem großen Stab von Berufsoffizieren eine schwere Bedrohung des Friedens darstellen. Zwangsdienst bedeutet Entwürdigung der freien menschlichen Persönlichkeit. Das Kasernenleben, der militärische Drill, der blinde Gehorsam gegenüber noch so ungerechten und sinnlosen Befehlen, das ganze System der Ausbildung zum Töten untergraben die Achtung vor der Persönlichkeit, der Demokratie und dem menschlichen Tun.
Menschen dazu zu zwingen, ihr Leben aufzugeben, oder sie gegen ihren Willen, gegen ihre Überzeugung und gegen ihren Sinn für Gerechtigkeit zum Töten zu zwingen, stellt eine Erniedrigung der menschlichen Würde dar. Ein Staat, der sich für berechtigt hält, seine Bürger zum Kriegsdienst zu zwingen, wird auch in Friedenszeiten die gebührende Achtung und Rücksicht auf das Wohl und Wehe des Einzelnen vermissen lassen. Mehr noch: Die Wehrpflicht pflanzt der ganzen männlichen Bevölkerung einen militaristischen Geist von Aggressivität ein, und das in einem Alter, in dem sie solchen Einflüssen am ehesten erliegt. So kommt es, daß durch die Ausbildung für den Krieg schließlich der Krieg als unvermeidlich, ja als erstrebenswert angesehen wird." (1)
"Die Wehrpflicht liefert die Einzelpersönlichkeit dem Militarismus aus. Sie ist eine Form der Knechtschaft. Daß die Völker sie gewohnheitsmäßig dulden, ist nur ein Beweis mehr für ihren abstumpfenden Einfluß.
Militärische Ausbildung ist Schulung von Körper und Geist in der Kunst des Tötens. Militärische Ausbildung ist Erziehung zum Kriege. Sie ist die Verewigung des Kriegsgeistes. Sie verhindert die Entwicklung des Willens zum Frieden." (2)
Wir wollen jeden dazu ermutigen, sich vom Militärsystem zu emanzipieren und darum Methoden gewaltfreien Widerstands anzuwenden, in der Tradition von Mahatma Gandhi und Martin Luther King, wie zum Beispiel: Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (von Wehrpflichtigen und Berufssoldaten, in Kriegs- und Friedenszeiten), Ziviler Ungehorsam, Kriegssteuerverweigerung, Nicht-Zusammenarbeit mit der militärischen Forschung, der Rüstungsproduktion und dem Waffenhandel.
In unserem Zeitalter elektronischer Kriegführung und wirksamer Manipulation durch Massenmedien, können wir unsere Verantwortung nicht verleugnen, rechtzeitig unserem Gewissen entsprechend zu handeln. Es ist höchste Zeit, unsere Einstellungen und unsere Gesellschaften zu entmilitarisieren und uns gegen den Krieg und alle Kriegsvorbereitungen auszusprechen.

Jetzt ist es an der Zeit zu handeln, jetzt ist es an der Zeit, kreativ zu werden und auf eine Weise zu leben, die das Leben der anderen Menschen rettet.

(1) Manifest gegen die Wehrpflicht von 1926, neben anderen unterzeichnet von Henri Barbusse, Annie Besant, Martin Buber, Edward Carpenter, Miguel de Unamuno, Georges Duhamel, Albert Einstein, August Forel, M.K. Gandhi, Kurt Hiller, Toyohiko Kagawa, George Lansbury, Paul Löbe, Arthur Ponsonby, Emanuel Rádl, Leonhard Ragaz, Romain Rolland, Bertrand Russell, Rabindranath Tagore, Fritz von Unruh, H.G. Wells

(2) Gegen die Wehrpflicht und die militärische Ausbildung der Jugend von 1930, neben anderen unterzeichnet von Jane Addams, Paul Birukoff und Valentin Bulgakoff (Mitarbeiter von Leo Tolstoi), John Dewey, Albert Einstein, August Forel, Sigmund Freud, Arvid Järnefelt, Toyohiko Kagawa, Selma Lagerlöf, Judah Leon Magnes, Thomas Mann, Ludwig Quidde, Emanuel Rádl, Leonhard Ragaz, Henriette Roland Holst, Romain Rolland, Bertrand Russell, Upton Sinclair, Rabindranath Tagore, H.G. Wells, Stefan Zweig"

Nochmal also dieses "Manifest gegen die Wehrpflicht und das Militärsystem" auf der Internetseite des Gandhi-Informations-Zentrums, Berlin. Nur eine kurze historische Bemerkung: Die beiden Zitate stammen aus zwei früheren Manifest-Texten in diesem Zuammenhang: das erste ist das Anti-Wehrpflicht-Manifest aus dem Jahr 1926, das Christian bereits erwähnt hat, es wurde unterzeichnet von Menschen wie Martin Buber, Albert Einstein, Gandhi und Bertrand Russell, das zweite kam von einem Manifest mit dem Titel "Gegen die Wehrpflicht und die militärische Ausbildung der Jugend", welches im Jahr 1930 erschienen ist, und wurde unterzeichnet von Menschen wie Jane Addams, nochmals John Dewey, Thomas Mann, Upton Sinclair und anderen berühmten Persönlichkeiten.
Wir bemerkten, Christian, genau vor der Pause, dass wir uns erinnern, dass wir die Bücher lesen, dass wir lehren, dass wir das Werk dieser großen Denker und Wissenschaftler und Humanisten heute lernen, aber dass wir fast universell die Bedeutung des Pazifismus und des Widerstands gegen die "Wehrpflicht" und gegen den Krieg und das Militärsystem vernachlässigen, verdrängen und vergessen, was unveräußerlicher Bestandteil ihres Werkes war. In anderen Worten, ich denke, es ist unaufrichtig, über die Literatur von jemandem wie Thomas Mann zu sprechen, dem Literaturnobelpreisgewinner, und von Upton Sinclair, von der Wissenschaft eines Einstein oder eines Freud, ohne ebenfalls ihre politischen und sozialen Gedanken und Gewissensüberzeugungen mit einzuschließen."

CB: "Ja, das ist richtig! Sie erwähnten Einstein und Freud, Sigmund Freud, und beide hatten einen Briefwechsel über die Frage, warum es Krieg gibt."

SB: "Ja, ein berühmter Briefwechsel!"

CB: "Das ist richtig! Es war eigentlich der Anfang der Friedensforschung, so denke ich, im 20. Jahrhundert, weil Einstein eine Art von Internationalem Strafgerichtshof vorschlug und zudem Schiedsgerichte zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den Nationen, und seine Idee entsprach der von Immanuel Kant über eine Föderation von gleichberechtigten Mitgliedsstaaten, einer globalen Föderation natürlich, und das war eine kosmopolitische Perspektive. So ist diese Utopie, diese politische Utopie, die sehr konkret sein kann, sehr real, noch immer in den Köpfen und Herzen der Menschen und all jener, die zum Beispiel den Einfluss der Vereinten Nationen stärken wollen, oder die Vereinten Nationen reformieren wollen, um damit all ihre Schwächen der ersten Jahrzehnte zu überwinden. Und ich möchte gern daran erinnern, dass Mahatma Gandhi's Botschaft war, dass es "einen internationalen Bund nur (geben wird), wenn all die ihn bildenden Nationen, groß oder klein, völlig unabhängig sind. Die Natur jener Unabhängigkeit wird dem Ausmaß und Grad der Gewaltfreiheit entsprechen, welches von den betreffenden Nationen erreicht worden ist. Eine Sache ist sicher: In einer auf Gewaltfreiheit gegründeten Gesellschaft wird die kleinste Nation sich so groß wie die größte fühlen. Die Ideen der Überlegenheit (Superiorität) und Minderwertigkeit (Inferiorität) werden dann ganz vernichtet sein." ("There will be an international league only when all the nations, big or small, composing it are fully independent. The nature of that independence will correspond to the extent of non-violence assimilated by the nations concerned. One thing is certain. In a society based on non-violence, the smallest nation will feel as tall as the tallest. The idea of superiority and inferiority will be wholly obliterated." Harijan, 11.2.1939)"

SB: "Ja!"

CB: "Das war seine Vision im Jahr 1939!"

SB: "Ja, denk mal an, ja, vor so einer langen Zeit, so, um es anders auszudrücken: Gewaltfreiheit ist im Kern antiimperialistisch!"

CB: "Ja, das ist so, weil eigentlich die Grundlage für Kriege immer die Ausbeutung der schwächeren Gruppen innerhalb der Gesellschaft und der schwächeren Nationen in der Welt ist. Und wenn man die Wurzeln des Krieges beseitigen will, sollte man natürlich aus der Welt einen gerechten Ort machen. Wissen Sie: Wenn Sie Gerechtigkeit herbeiführen wollen, müssen Sie mit der Ökonomie und der Gesellschaft beginnen und nicht mit der Todesstrafe."

SB: "Ja!"

CB: "Das ist der Grund dafür, warum die Gerechtigkeit eines Scharfrichters oder von Hinrichtungen weltweit gesehen nicht sehr authentisch ist. Die Gerechtigkeit sollte von jenen Einzelpersonen ausgehen, welche sich von dieser versteckten Sklaverei emanzipieren wollen!"

SB: "Ja, das ist Barbarei, das ist, was es ist, so alt wie das Alte Testament und noch früher. Und für einige unserer Gesellschaften, inklusive unglücklicherweise besonders derjenigen, von der ich aus sende, bleibt die Todesstrafe die ultimative Strafe."

CB: "Ich habe hier ein anderes Zitat von Mahatma Gandhi - er sagte: "Die Demokratie, wenn sie eine wahre Demokratie sein soll, sollte damit aufhören, sich weswegen auch immer auf die Armee zu verlassen. Es wird eine arme Demokratie sein, die ihre Existenz von militärischer Unterstützung abhängig macht. Militärische Gewalt behindert das freie Wachstum des Geistes. Sie betäubt die Seele des Menschen." ("Democracy to be true should cease to rely upon the army for anything whatsoever. It will be a poor democracy that depends for its existence on military assistance. Military force interferes with the free growth of the mind. It smothers the soul of man." Harijan, 9.6.1946) Das war im Jahr 1946. Und ich denke, wir haben nicht wirklich gelernt. Ich wurde im Jahr 1960 geboren, und mein Vater starb an den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs. Das war, nebenbei bemerkt, 15 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Das ist der Grund, warum ich als Halbwaise noch immer unter dem Einfluss stehe. Ich weiß aus meiner eigenen Biografie, dass Krieg nichts Gutes hervorbringen kann. Das ist der Grund, warum jede Art von Kriegsvorbereitung dieses Militärsystem verewigen wird, und es ist ein System der Zerstörung (Destruktion)! Und wenn Gandhi sagt, dass militärische Gewalt "die Seele des Menschen betäubt" ("smothers the soul of man"), bedeutet das, dass unsere Seele sich befreien muss, wissen Sie, es ist eigentlich eine Botschaft der Freiheit, die wir aussenden wollen, und wenn Ihr Programm von U.S.-Bürgern gehört wird, die zur Kultur der Menschheit so gewaltig viel beigetragen haben - und ich denke nicht nur an die großen Sänger und Sängerinnen der Bürgerrechtsbewegung wie Pete Seeger oder Malvina Reynolds oder Joan Baez, ich denke nicht nur an die antimilitaristischen und pazifistischen Sänger und Sängerinnen wie zum Beispiel Phil Ochs oder Richie Havens, Peter, Paul & Mary etcetera., ich denke an die reiche Tradition der Gewaltfreiheit, die erneuert wurde durch Dr. Martin Luther King jr. und die Bürgerrechtsbewegung. Und wenn diese Lektion für das 21. Jahrhundert von Bedeutung sein wird, dann sollten wir beginnen, über die Inspirationen nachzudenken, die von Martin Luther King absorbiert wurden: Und er lernte von Gandhi und Tolstoi! Und wir müssen darüber nachdenken, wie wir diesen Impuls erneuern. Und das Manifest ist nun eine Art von bescheidener und langsamer Erneuerung dieser Tradition der Gewaltfreiheit, und vielleicht wird dies erst in einigen Monaten oder Jahren sichtbar, weil es mehr und mehr Aufmerksamkeit als Brennpunkt auf sich lenken wird. Aber wir sind nicht in der Position, die Medien zu beeinflussen, nicht die Massenmedien. Darum bin ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie meiner Stimme aus der Entfernung zuhören."

SB: "Nun, Christian, ich nehme an, es ist in diesem Fall der gleiche schwierige Weg, den wir Progressiven haben, wenn wir allgemeiner gesprochen eine alternative Kultur aufbauen und natürlich ist die alternative Kultur, die wir aufzubauen versuchen, durch Gewaltfreiheit charakterisiert.. Es ist eine Friedenskultur. Tatsächlich hatten wir hier in der Hauptregion des Bundesstaates New York eine Konferenz, die im letzten Herbst von der "Interreligiösen Allianz" (Interfaith Alliance) finanziell unterstützt wurde mit dem Titel "Zu einer Kultur des Friedens" (Towards a Culture of Peace) und eine weitere groß organisierte Regionalkonferenz im November unter dem Titel: "Eine Front bilden gegen die Politik der Furcht" (Confronting the Politics of Fear). So hatten die Menschen innerhalb der Reichweite unserer Stimmen einige Gelegenheiten, sich in dieser Art Arbeit zu engagieren, und ich bin beeindruckt über Ihre Anerkennung der langsamen Schritte dieser frustrierenden Arbeit, die wir tun müssen, um eine Kultur des Friedens zu propagieren und aufzubauen und noch einmal die außerordentlichen Werke dieser großartigen Männer und Frauen ans Tageslicht zu holen, die vor uns kamen. Aber haben Sie dann noch irgendwelche weiteren Vorschläge? Eine Sache, die mir sofort in den Sinn kommt, ich glaube, die führende Organisation in diesem Land, um jene junge Männer, und ich glaube, das schließt Frauen mit ein, zu beraten und zu unterstützen, die heute darüber nachdenken, entweder die Registrierung für das Militär zu verweigern oder den Militärdienst zu quittieren, nachdem sie schon einmal dabei sind, wird "Central Committee for Conscientious Objection" genannt, ich erinnere mich an die Abkürzung CCCO und ich glaube, ihre Internetseite ist "www.objector.org" - ich habe vor einigen Jahren darüber ein Programm gemacht - von der ich denke, dass sie wahrscheinlich die beste Quelle in diesen Angelegenheiten ist, und natürlich werden die Zuhörer bemerkt haben, dass wir eine Gemeinde des Versöhnungsbundes eben hier in Troy haben, im Rosa House (...) Währenddessen, Christian, so wir haben das Manifest, wir halten Konferenzen ab, wir versuchen, uns selbst zu informieren und zu bilden, Menschen wie Sie und ich sind Friedensforscher. Wir produzieren tatsächlich unsere eigenen Medien. Sie erwähnten mehrere Male die zentrale Bedeutung der Medien, um die Botschaft darüber zu verbreiten. Wir haben wunderbare Ressourcen, diese Radiostation inbegriffen, und doch scheint es, wie Sie sagen, bescheiden, schmerzlich langsam, unsere Wirkungen erscheinen so klein, so winzig, so winzig klein selbst angesichts von Bush's Außenpolitik, dass es, wissen Sie, schwierig ist, ab einem gewissen Punkt weiterzumachen. Haben Sie irgendeine weise Idee, die Sie aus Ihrer eigenen Lektüre von King oder Gandhi oder Tolstoi gefunden haben, über die Schwierigkeit des Wegs zum Frieden und die Langsamkeit des kulturellen Wandels? Welche Art von Inspiration haben Sie für uns in dieser Sache?"

CB: "Nun: "Der Weg des Friedens ist der Weg der Wahrheit" ("The way of peace is the way of truth...")"

SB: "Das ist Satyagraha!"

CB: ""... Wahrhaftigkeit ist sogar noch bedeutender als Friedfertigkeit..." ("Truthfulness is even more important than peacefulness...")"

SB: "Interessant!"

CB: "Und: "In der Tat, das Lügen ist die Mutter der Gewalt. Ein wahrheitsliebender Mensch kann nicht länger gewaltsam bleiben." ("Indeed, lying is the mother of violence. A truthful man cannot long remain violent." Young India, 20.5.1926) Dies sind Worte von Mahatma Gandhi, und ich mag sie zitieren, weil ich denke, es gibt keinen Grund zu verzweifeln auf dem Weg der Wahrheit und Gewaltfreiheit, denn wenn Sie die Wirkungen der Massenmedien betrachten, dann gibt es wirklich die Gefahr, dass die Menschen ihr Selbstvertrauen darin verlieren, wahrhaftig zu bleiben. Und dies ist das, was wir lernen können, dass wir nicht verzweifeln sollten und nicht zynisch werden sollten und unsere Freunde und diejenigen, die wir erreichen können, ermutigen, und mein Bruder und meine Mutter sind hiermit jetzt herzlich gegrüßt, um sie zu ermutigen, nicht zynisch zu werden, und alle meine Freunde in unserem Zentrum sollten wissen, dass es zunächst von Bedeutung ist, nicht zu verzweifeln und zynisch zu werden. Das Zweite besteht darin, dass wir versuchen zu begreifen, dass diese "Festigkeit in der Wahrheit" (Satyagraha) die Grundlage bildet und eine gewisse Furchtlosigkeit, die nicht leicht aufzubringen ist, wenn Sie eine Familie haben ..."

SB: "Ja!"

CB: "... aber wenn Sie keine Familie haben, wenn Sie ein Student sind oder wenn Sie jemand sind, der einen neuen Weg beschreitet und der eine neue Perspektive zu finden versucht, dann ist es manchmal ganz gut, Ihre Möglichkeiten zu gebrauchen, um den Weg zur Gewaltfreiheit zu verfolgen. Es ist interessant: Ich habe viele Länder besucht, weil ich eingeladen wurde, nicht wegen kommerzieller Aktivitäten, sondern wegen nicht-kommerzieller, gemeinnütziger Aktivitäten..."

SB: "Ja!"

CB: "... und dies war für mich eine große Erfahrung, ich habe dies niemals erwartet, und ich beabsichtige nicht, in irgendein anderes Land zu reisen, aber ich denke nun zu wissen, dass es ganz unterschiedliche Wege gibt, die Welt besser kennenzulernen, und dies ist eine gute Erfahrung, die ich Ihnen mitteilen will. Und ich möchte gern diese Erfahrung mitteilen, sozusagen die Erfahrung der Offenheit für neue Wege - und jede(r) einzelne sollte ihren oder seinen neuen Weg finden - und diese neuen Wege sollten einander ergänzen. Dies ist das, was ich denke: "Der Weg des Friedens ist der Weg der Wahrheit." ("The way of peace is the way of truth.") - dies ist der erste Schritt, selbst wenn es sehr hart ist in unserer Gesellschaft, wo so viele Lügen profitabel zu sein scheinen, aber wir sollten versuchen, zu einfachen Wahrheiten zurückzukehren, und das ist auch das, was wir von den Songs Ihrer großen Sänger lernen können: "Masters of War" von Bob Dylan oder "What Have They Done To The Rain?" von Malvina Reynolds oder "The Universal Soldier" von Buffy Sainte-Marie."

SB: "Ja!"

CB: "Und ich würde sagen, dass diese Songs wieder zu hören sein sollten, und "If I Had A Hammer" war einer der ersten Songs, die mich so sehr beeinflusst haben..."

SB: "Oh, gut!"

CB: "... das war eine gute alternative Wahl von Ihnen."

SB (lacht): "Ausgezeichnet! Nun, damit sind wir über unsere Zeit, Christian, Sie verließen uns mit sehr inspirierenden Worten, und nochmals besonders passend hier in Bush's Amerika, denn die Bush-Administration hat natürlich eine starke Allergie gegen die Wahrheit. So ist unsere Arbeit, die Wahrheit zu verbreiten, also auch Friedensarbeit, wie Sie uns klargemacht haben und wie Gandhi überzeugt davon war. So, Christian Bartolf, ich möchte Ihnen sehr dafür danken, dass Sie an diesem Morgen hier zu hören waren!"

CB: "Danke Ihnen!"

SB: "Und ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest. Wenn die Zuhörer das Manifest und die übrige feine Arbeit des Gandhi-Informations-Zentrums weiterverfolgen wollen, senden Sie ein Email an die folgende Adresse: mkgandhi@snafu.de - und ich will die Zuhörer ermutigen, hier zu bleiben (...) Sie hörten "Auf den Barrikaden", ich bin Steve Breyman, dies ist WRPI, Troy."

(...Die von WRPI-Persönlichkeiten zum Ausdruck gebrachten Meinungen spiegeln nicht notwendigerweise jene Meinungen wider vom Rensselaer Polytechnischen Institut..., den Mitarbeitern oder dem Management von WRPI, Troy...)